1.2 Reife Liebe

Menschen können sich bei ihrem Verhalten weniger als viele Tiere auf angeborene Instinkte stützen. Sie können denken und Entscheidungen treffen. Das gelingt aber nicht bei Dingen, die im Unbewussten schlummern. In diesem Bereich liegen die meisten Ursachen von Partnerproblemen. Sie gelangen dorthin in den ersten Lebensjahren.

Das kleine Kind nimmt unbewusst bei seinen Eltern ihre seelischen Regungen und die daraus folgenden Handlungen auf. Es speichert diese Informationen dauerhaft in einem sehr tief liegenden, auch später kaum in das Bewusstsein dringenden Bereich des Gedächtnisses. Sie bleiben ein wichtiger Teil seiner Wirklichkeit im Erwachsenenalter. Sie entscheiden über seine eigenen Werte, Gefühle, Handlungen und auch seine Reaktionen auf andere Menschen. (Diese Erkenntnisse beschreibt der amerikanische Psychiater Eric Berne in seiner Transaktionsanalyse, nachzulesen z.B. bei Berne E.: Spiele der Erwachsenen. Psychologie der menschlichen Beziehungen)

Positive Erlebnisse in der frühen Kindheit werden ihm später helfen, selbst positiv zu sein. Früh erlernte negative Verhaltensweisen dagegen führen zu negativem Verhalten, und das kann das Erwachsenenleben belasten. Hat man seine Eltern als zugewandt und liebevoll erlebt, wird man selbst seinen Kindern gegenüber liebevoll sein. Waren die Eltern herabsetzend und lieblos, wird man ohne bewusste Absicht auch seine Kinder darunter leiden lassen. Wer bei seinen Eltern erlebt hat, dass man bei Angst aggressiv wird, tut das selbst später auch. Eltern, die in ihrer Reifung zum Erwachsenen in einzelnen Bereichen auf der Stufe eines Kindes stehen bleiben, reichen dies unwissentlich an ihre Kinder weiter. Selbst Krankheiten der Eltern wie ein Herzinfarkt oder eine Depression können mit allen traurigen Konsequenzen von den Kindern kopiert und erneut erlitten werden.

Das ist die Wirklichkeit, mit der Partner konfrontiert werden, wenn sie einander näher kommen. Sie wissen nichts davon, weder bei sich selbst noch beim anderen. Jeder von ihnen betrachtet seine Wirklichkeit als normal und natürlich. Entsprechend empfindet er die Wirklichkeit des anderen als unverständlich und abwegig. Es bringt wenig, dem Partner daraus einen Vorwurf zu machen.

Was allerdings eine dramatische Änderung eines belastenden Verhaltens herbeiführen kann, sind Anteilnahme, Nachsicht und Liebe des Partners. Unter dem Eindruck, der helfe ein wenig beim Tragen einer schweren Last, wird die plötzlich leichter und lässt sich vielleicht sogar ganz abschütteln. Davon profitieren beide, und das tun sie noch mehr, wenn sie sich gegenseitig beim Abwerfen solcher Altlasten unterstützen.

Ein großer Teil der Reifung zu einem Erwachsenen ist das Ablegen von kindlichen Verhaltensweisen und an seiner Stelle das Annehmen erwachsenen Verhaltens. Dazu kann ein Partner wesentlich beitragen. Der Weg dahin kann mühevoll und steinig sein. Immer wieder müssen sich die Partner um Offenheit, Aufrichtigkeit, gegenseitiges Vertrauen, Nachsicht und Verzeihen bemühen. Immer wieder müssen sie zu vermeiden versuchen, was den Erfolg gefährdet: Besitzansprüche, Herrschsucht, Misstrauen, Eifersucht, Vorwürfe und Rechthaberei.

Nicht jeder will sich dieser Mühe unterziehen, und nicht jeder, der dazu bereit ist, findet dafür den geeigneten Partner. In der Situation entschließt sich mancher dazu, mit der Partnerwahl leichter erreichbare Ziele anzusteuern und sich mit einem Liebesersatz zufrieden zu geben.